Flucht März 2022 Ukraine » Deutschland
„Ich habe einen Zettel für jedes meiner Kinder mit ihren Namen, dem Geburtsdatum und meiner Telefonnummer geschrieben – wenn etwas mit mir oder mit den Kindern passiert wäre oder sie verloren gegangen wären, hätten wir sie so wiederfinden können. Am ersten Tag des Krieges habe ich meinem großen Sohn Sasha gesagt: „Wenn ich irgendwo liege, ohne ein Zeichen, dass ich lebe, oder wenn wir Hilfe brauchen, musst du dich zuerst um Papa kümmern. Papa ist stark und kann dann uns anderen helfen.“
Mein Name ist Olha Vovk, ich wurde am 1. Juni 1987 in der Stadt Winnyzja in der Ukraine geboren. Ich bin verheiratet, habe drei Kinder, die bei der Flucht vier, sechs und neun Jahre alt waren, und meinen Mann. In meiner Heimat bin ich jeden Tag zur Arbeit gegangen, meine beiden kleinen Kinder in den Kindergarten, das große zur Schule. Mein Mann hat gearbeitet, wir wohnten zusammen mit Oma. Wir hatten ein Haus mit Garten, haben Picknick gemacht und gegrillt. Im Sommer sind wir ans Meer gereist und haben viel Zeit mit Freunden verbracht. Bis jetzt habe ich Jura als Fernlehrgang studiert. Das war ein so schönes und gemütliches Leben!
Am 24. Februar 2022 begann der Krieg. Jeden Tag hörten wir die Sirenen. Die Kinder bekamen große, große Angst. Wir packten dann immer schnell die Sachen und liefen in den Keller. Am nächsten Tag saßen wir wieder mit den Kindern im Keller. Mein Mann war sehr besorgt. „Du musst in ein anderes Land fahren, du kannst nicht hierbleiben.“ Er wollte mich beschützen. Ein paar tausend Leute sind jeden Tag nach Polen und Deutschland geflohen.
Als der Krieg begann, hatte ich auch Angst. Zu Hause habe ich die Matratze vor das Fenster gestellt, davor den Schrank – wenn eine Bombe gekommen wäre, hätte das vielleicht ein bisschen geholfen.
Ich habe einen Zettel für jedes meiner Kinder mit ihren Namen, dem Geburtsdatum und meiner Telefonnummer geschrieben – wenn etwas mit mir oder mit den Kindern passiert wäre oder sie verlorengegangen wären, hätten wir sie so wiederfinden können. Am ersten Tag des Krieges habe ich meinem großen Sohn Sasha gesagt: „Wenn ich irgendwo liege, ohne ein Zeichen, dass ich lebe, oder wenn wir Hilfe brauchen, musst dich du zuerst um Papa kümmern. Papa ist stark und kann dann uns anderen helfen.“
Zunächst sind wir ein paar Tage aufs Land gefahren. Doch auch dort mussten wir bei Sirenenalarm jeden Tag in den Keller. Da rief mich mein Mann an: „Ich habe einen Bus mit Freiwilligen gefunden, die dir helfen, zur Grenze zu kommen!“ Ich habe dann schnell unsere Sachen gepackt und bin mit diesem Bus bis etwa fünf Kilometer vor die polnische Grenze gekommen.
Den weiteren Weg musste ich mit meinen Kindern laufen, von 6 Uhr abends bis 4 Uhr morgens, die ganze Nacht. Vor uns waren ein paar tausend Leute, hinter uns ein paar tausend. Ich hatte nur meine Dokumente, ein bisschen zu essen und zu trinken und einen Koffer mit Sachen für die Kinder und mich dabei. Die Kinder konnten bald nicht mehr stehen und wollten schlafen, sie waren so müde! Besonders schwierig war es, als sie auf die Toilette gehen wollten. Du konntest das nicht vor all den Leuten machen. Ich ging also mit einem Kind auf Toilette – und als ich zurückkam, war die Menschenmenge so groß, dass ich nicht mehr sehen konnte, wo meine anderen Kinder standen. Einige Leute riefen mich, und ich fand meine Kinder zum Glück wieder. Das nächste Mal sind die kleinen Kinder mit meinem großen Sohn zusammen auf Toilette gegangen, ich habe draußen gewartet. Es war ganz schwierig und sehr kalt.
An der ukrainischen Grenze stand eine Bank, auf der ich mit meinen Kindern warten konnte, bis sie meine Dokumente annahmen. Dann sind wir an die Grenze gekommen. Dort haben wir von den Leuten Decken und Tee bekommen. Wir mussten dann noch einmal weiter warten, es war aber schon warm und gemütlich.
Zwei Stunden hat es von der ukrainischen bis zur polnischen Grenze gedauert, bis alles vorbei war. Dort war es sehr gut organisiert, es gab heißen Tee, Kaffee und Suppe. Hinter der Grenze wartete ein anderer Bus, der uns zur polnischen Stadt Krynica-Zdrój brachte, wo uns wieder Leute halfen, uns Essen und Klamotten gaben. Wir konnten im Hotel schlafen. Wir blieben dort fünf, sechs Tage, dann kam der deutsche Bürgermeister Frank Hix mit einem ganzen Bus voller Hilfe für die Ukrainer in diese Stadt. Er sagte, dass sie 20 Personen nach Deutschland in die Stadt Bad Sooden-Allendorf mitnehmen könnten. Am 11. März 2022 sind wir in Allendorf angekommen.
„Als wir hier Flugzeuge gesehen haben, hatte mein großer Sohn in der ersten Zeit immer noch große Angst, dass vielleicht Bomben kommen.“
Als wir hier Flugzeuge gesehen haben, hatte mein großer Sohn in der ersten Zeit immer noch große Angst, dass vielleicht Bomben kommen. Und immer, wenn hier der Sirenen-Probealarm der Feuerwehr war, haben die Mädchen geweint. Sie haben bis jetzt Angst, wenn sie so etwas hören. Es ist für mich schwierig ohne meinen Mann. Wir telefonieren jeden Tag. Ich bin alleine hier, es ist eine neue Sprache, die ich nicht kenne. Aber die Leute sind sehr freundlich und helfen mir. Vielen Dank an Polen und Deutschland – was die Menschen dort alles für ukrainische Kinder und Menschen auf der Flucht organisieren.
Gegenstände
Ich hatte nur einen Koffer für mich und meine drei Kinder mit dabei. Darin befanden sich neben den wichtigsten Sachen nur ein paar Dokumente: Mein ukrainischer Pass, die Geburtsurkunden der Kinder und meine Heiratsurkunde.